Dienstag, 16. August 2011

Auslandsaufenthalt in China - Teil 3: Sebastian Stagl

(Gastbeitrag: Sebastian Stagl)
Foto © Sebastian Stagl
Nun bin ich schon seit fünf Monaten hier. Im Land der Mitte, wie die wörtliche Übersetzung beschreibt. Mittendrin in dieser anderen, fremden Kultur. Mittendrin in den Wirren dieser anderen, zunächst unverständlich erscheinenden Sprache. Mittendrin in einem ganz anderen Leben.

Ich bin übrigens Sebastian Stagl. In Wien geboren und in Österreich aufgewachsen. Im Zuge meines Studiums habe ich mich nun mit meinen 22 Jahren (23, wenn man chinesisch zählt…) auf den Weg rund um den Globus gemacht um hier in China ein Praktikum zu absolvieren.

Als ich am 17. Februar 2011 die monglisch-chinesische Grenze im Zug überquert habe, habe ich gerade noch die letzten Feuerwerke des ausklingenden Frühlingsfest in der Ferne sehen können. Als mich die Sonnenstrahlen in der Früh des nächsten Tages wieder geweckt haben, war ich dann plötzlich wirklich da. In dem Land, in dem ich die nächsten sieben Monate verbringen sollte. Hätte ich nicht gewusst, wo ich bin, hätte ich es an den geschwungenen Dächern, dem vielen Rot und den überall im Wind dahintänzelnden Laternen erraten können. Oder kurze Zeit später an der Großen Mauer, die sich ein paar wenige Kilometer vor meinem ersten Ziel, Peking, plötzlich gezeigt hat.

Nach zehn Tagen in Peking machte ich mich schließlich auf den Weg um „nach Hause“ nach Qingdao zu fahren. So fragwürdig es auch scheint, irgendwohin „nach Hause“ zu fahren, obwohl man noch nie dort war, war es genau das, was ich gefühlt habe. Denn es hat jemand auf mich gewartet – meine chinesische Gastfamilie. Wie sich später herausstellen sollte, war diese eine von zwei Familien, bei denen ich während meines Aufenthaltes wohnen sollte. Bei zwei Familien zu wohnen eröffnete mir einen weiteren, ziemlich beeindruckenden Einblick in das China, das man zurzeit vorfinden kann. Vom lauten, lebhaften China, in dem man das Duschwasser auffängt um damit die Toilette zu spülen, bin ich nach zweieinhalb Monaten in das verschwenderische, protzig angeberische China mit vierstöckigen Villen am Strand gezogen. Nicht ich sondern der Zufall war es, der dies so wollte. Dank diesem hab ich nun ein für mich sehr vollständiges Bild bekommen, dass Aufschluss über viele Dinge gibt und so manches erklärt, das man durch bloßes Zeitunglesen nicht vesteht.

Doch beide Leben haben etwas gemeinsam. Und zwar, dass sie zu einem großen Teil auf der Straße stattfinden. Seien es die zahlreichen kleinen Obst- und Gemüsestände, ausgelagerten Restaurants und euforischen Händler oder die vertieften Taiji-Boxer, sportelnden Pensionisten und der singende Chor. Die Straßen Chinas sind nie leer. Diese Aktivitäten finden dann entweder ganz früh morgens, wenn ein europäischer Durchschnittsstudent von einer durchfeierten Nacht heim kommt, oder abends, wenn die Nacht schon eingesetzt hat, statt. Denn eines versuchen die Chinesen zu meiden – die Sonne. Weiß sollte man sein um zu zeigen, dass man es nicht nötig hat, einer Tätigkeit im Freien nachgehen zu müssen. Deshalb habe ich auch kaum einen Sommertag verbracht ohne dem Schirm eines sonnenscheuen Mädchens ausweichen zu müssen.

Neben dem Sonnenschirm gibt es übrigens noch einige weitere Kuriositäten, denen man im täglichen Umgang mit Chinesen nicht entkommt. Da wäre zum einen der obligatorische Nagelzwicker am Hosenbund der Männer, den man(n) dann am besten immer und überall – sei es im Bus, in der Schlange zum Ticketschalter oder im Büro – auspackt und seine Umwelt „beglückt“. Zum anderen wird man keinen Tag verbringen ohne einen Chinesen in der typischen Hockstellung zu erblicken. Die Sitzposition scheint von Geburt an fleißig trainiert zu werden um so manche Alltagssituationen, wie zum Beispiel den Toilettenbesuch (im Prinzip ein Loch im Boden) oder das Warten auf den nächsten Bus (natürlich in Hockstellung), so komfortabel wie möglich zu gestalten.

Ein äußerst interessanter Moment meiner „chinese experience“ war als ich mit der chinesischen Medizin in Berührung gekommen bin. Seit Jahrtausenden praktiziert, findet die traditionelle Medizin noch immer regen Anklang in der Bevölkerung. Um dies zu testen, haben sich ein paar Ausländer und ich auf den Weg zur Feuermassage gemacht. Kurze Zeit nach Ankunft stand mein Rücken auch schon in Flammen um die bösen Energien und Schadstoffe aus meinem Körper zu vertreiben. Das Ganze wurde anschließend mit dem sehr, sehr leckeren und typisch chinesischen Hotpot – dem Feuer von innen – abgerundet.

Sehr lustige und aufschlussreiche Momente hatte ich auch im Bus, denn die tägliche, einstündige Fahrt in die Arbeit allein liefert das nötige Material um eine ganze Verhaltensstudie durchzuführen. Anfangs musste ich damit kämpfen, keine Komplexe zu bekommen, denn selbst wenn ich der erste im Bus war, war der Platz neben mir immer (und damit meine ich immer) der letzte, der besetzt wurde. Warum? Weil Ausländer stinken. Das war die Antwort, die mir meine chinesischen Freunde ganz nüchtern als Erklärung gaben. Ausländer stinken also. Und Ausländer sind außerdem eklig, weil sie ein benutztes Taschentuch wieder in die Hosentasche stecken. Der Körper signalisiert doch eindeutig, dass er das Nasenmonster ausscheiden möchte und nicht wieder zurück haben möchte. Und genau aus diesem Grund rotzen und spuken die Chinesen immer und überall. Das ist für mich hie und da schon mal zu einem Art Tanz ausgeartet, als ich eigentlich nur vorhatte, gemütlich spazieren zu gehen.

Zwischen all diesen erheiternden Alltagssituationen, gab es auch noch das Praktikum, das mir den nötigen Rahmen für mein Vorhaben, die chinesische Kultur kennen zu lernen und meine Sprachkenntnise zu vertiefen, bot. Dass ich dabei nochmal ein ganz anderes China kennen lernen durfte, war mir nicht von Anfang an klar, aber verstanden habe ich es ziemlich bald. Als Praktikant im Human Resource Department eines chinesischen Staatsbetriebes bestand mein Job darin, dem Unternehmen bei der Internationalisierung zu helfen und ausländische Mitarbeiter und andere Praktikanten einzustellen.

Die täglich wechselnden Teppiche in den Aufzügen lieferten unter anderem das nötige Umfeld um die Möglichkeiten kennen zu lernen, die ein Staatsbetrieb in diesem Land hat, und einen Einblick in die Arbeitswelt zu bekommen. Nicht nur durch die ganz typischen Business Dinner, bei denen man unbeschreiblich viele Regeln zu beachten hat, konnte ich enorm viel lernen, sondern durch die alltäglichen Situationen in der Zusammenarbeit mit Chinesen. Da die Arbeit in China einen richtig großen Stellenwert hat, wird der Job allem anderen voran gestellt. Aus diesem Grund sind meine Kollegen immer schon im Büro wenn ich um 8 Uhr morgens komme und bleiben hier wenn ich um 17.30 Uhr gehe. Und in der anderthalbstündigen Mittagspause wird nach einem im Rekordtempo eingenommen Mittagessen geschlafen um diesem ganzen Gesellschaftsdruck auch standzuhalten. Einfach den Kopf auf den Schreibtisch und die Welt um sich herum ausschalten. Bis heute habe ich es nicht auch nur einen Tag geschafft, ihnen das nachzumachen sondern nutze diese Zeit lieber um draußen spazieren zu gehen. Denn viel Sonne bekommt man im 15-Mann-Büro nicht. Hier bevorzugt man geschlossene Jalousien und künstliches Licht.

Einer der interessantesten Momente in dem Firmenwolkenkratzer war definitiv die offizielle Feier zum 90. Geburtstag der Kommunistischen Partei Chinas. Ist man Chinese und Mitarbeiter dieses Staatsbetriebes, ist man mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit auch Mitglied der Partei und somit natürlich bei der Geburtstagsparty mit dabei. Obwohl ich kein Parteimitglied bin, bekam ich die Ehre Augenzeuge dieses Festes zu werden. Abgesehen davon, dass ich durch die bloße Anteilnahme sehr viel über den (chinesischen) Kommunismus lernen konnte, bekam ich außerdem enorm viel Aufschluss darüber, warum Dinge in China so laufen, wie sie laufen.

Und weil in China die Dinge so anders laufen, gibt es trotz der Tatsche, dass ich ein relativ anspruchsloser, offener Mensch bin, ein paar Kleinigkeiten, die ich aus der Heimat vermisse. Allem voran das Frühstück. Die Nudelsuppe, Meeresfrüchte und der salzige Fisch, den ich bei meiner Familie morgens bekomme, hängt mir nach der ganzen Zeit schon zum Hals heraus. Die Sehnsucht nach Butter, Marmelade, Honig & Co. ist riesengroß.

Und manchmal habe ich neben der morgendlichen Nudelsuppe auch die chinesische Mentalität richtig satt. Nach ein paar Monaten, habe ich erfahren, dass es nicht nur mir so geht. Unter Ausländern in China wird dieser Moment auch oft als „China Blues“ bezeichnet. Wenn man zwei westliche Kulturen gegenüber stellt, kann man trotz vieler Unterschiede Gemeinsamkeiten erkennen. Die chinesische Kultur ist aber mit der unseren kaum zu vergleichen. Daher kann es schon mal dazu kommen, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche als mich kurz von hier wegzubeamen. Zum Beispiel, wenn die Chinesen nicht aufhören mich anzustarren, mit dem Finger auf mich zu zeigen und laut „lao wai“ (dt: Ausländer) zu rufen. Aber irgendwie gehört dies auch schon dazu…

Was ich am Anfang über China dachte, denke ich auch jetzt noch. Nur sehe ich alles aus einer anderen Perspektive. War ich anfangs mittendrin in einer andern, fremden Kultur, weiß ich nun auch von außen betrachtet, dass China wirklich das Land der Mitte ist (so wie auf den Landkarten hier). China befindet sich in der Mitte zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Tradition und Moderne und zwischen Starre und Veränderung. Aber vor allem befindet es sich nun auch in der Mitte meines Herzens.

Spätestens in Xi’an, als ich im Sonnentuntergang mit dem Fahrrad über die Stadtmauer gefahren bin, hat es diesen Platz eingenommen.

Links zum Thema:
Rubrik Auslandsaufenthalte auf Studentenpilot.de

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