Dienstag, 9. August 2011

Auslandsaufenthalt in China - Teil 2: Sabine May

(Gastbeitrag: Sabine May)
Foto © Sabine May
Mein Name ist Sabine May, ich bin 25 Jahre alt und studiere an der LMU in München die Fächer Sinologie, Betriebswirtschaftslehre und Interkulturelle Kommunikation. Im Rahmen meines Sinologie-Studiums lerne ich natürlich auch Chinesisch. Da Chinesisch zu lernen nicht gerade ein Zuckerschlecken ist, muss man diese Sprache wirklich vor Ort hören, sprechen und verstehen lernen, alles andere ist aussichtslos. So entschloss ich mich im Frühjahr 2010 dafür, ein halbes Jahr Praxis-Erfahrung zu sammeln und packte meine Sachen, um ein Praktikum in Qingdao zu machen. 

Als ich meinen Aufenthalt plante, fand in meiner Universität ein Vortrag statt über das Thema „Praktika in China“. Der referierende Experte gründete 2006 seine eigene Agentur, welche Praktika, Sprachunterricht und Unterkunft in Qingdao und Zhuhai an Studierende aus Europa, Nordamerika und Australien vermittelt.

Eigenhändig Praktikumsstellen in China zu finden erweist sich oft als schwierig, kompliziert und unmöglich, da das Konzept „Praktikum“ den meisten chinesischen Managern unbekannt ist. Zudem bietet die Agentur auch Unterstützung, wenn es zu Problemen kommt. Die langwierigen Formalitäten zum Erhalt eines entsprechenden Visa, die Unsicherheit allein in eine völlig fremde Kultur zu kommen, usw. sind Schwierigkeiten, die diesem Vorhaben oft im Wege stehen.

Besonders gereizt hat mich auch der Aufenthalt in einer chinesischen Gastfamilie. Ein Leben „auf chinesisch“, das hat mich letztendlich davon überzeugt, dass Qingdao die richtige Wahl für mich ist. Und es war tatsächlich so!

Bei einer Gastfamilie zu wohnen ist zum einen eine große Herausforderung, zum anderen auch eine riesige Bereicherung. Natürlich war es anfangs für mich nicht leicht, in einem zunächst fremden Haushalt „mit zu leben“, Rücksicht zu nehmen, und sich gleichzeitig ständig Mühe zu geben, immer offen, freundlich, probierfreudig und unterhaltsam zu sein. Gerade weil meine Familie auch ausschließlich Chinesisch sprach, war die erste Phase durchaus anstrengend für mich. Dennoch habe ich meine jungen Gasteltern, meine einjährige Gastschwester und meine Großeltern, die im selben Wohnblock einige Stockwerke höher lebten, innerhalb kürzester Zeit sehr lieb gewonnen, und das Zusammenleben funktionierte wunderbar.

Nach unvergesslichen sieben Monaten, hat es mich prompt wieder hierher gezogen: Gleich nach dem Wintersemester in München habe ich zum zweiten Mal meine Koffer gepackt und bin für weitere 5 Monate zurück nach Qingdao gekommen. Diesmal wohne ich jedoch mit meinem Freund, nicht mit einer Familie.

Man mag sich vielleicht fragen: Warum wieder Qingdao? Ist das nicht langweilig? Willst du nicht auch mal was Neues sehen? Ja, klar, ich bin letztes Jahr viel in China gereist. Ich habe viele Orte gesehen und war begeistert. Aber ich liebe Qingdao!

Qingdao ist eine Küstenstadt. Das hat natürlich positive Auswirkungen auf die Lebensqualität. Im Gegensatz zu anderen Millionenstädten wie Peking oder Shanghai ist das Klima hier angenehm mild, Smog und Luftverschmutzung halten sich in Grenzen, es gibt einige breite Sandstrände und die Atmosphäre ist entspannt. Nicht umsonst wurde Qingdao 2009 zu der „lebenswertesten Stadt Chinas“ gewählt.

Die Deutschen haben hier bereits vor über hundert Jahren ihre Spuren hinterlassen, als sie das Gebiet Qingdao (damals nur ein kleines Fischerdörfchen) als Kolonie beanspruchten (von 1898 bis 1914) und die erste Brauerei Chinas eröffneten (1903). Noch heute erzeugen die erhalten gebliebenen deutschen Gebäude in Qingdao einen interessanten und spannenden Kontrast mit der chinesischen Architektur, und das weltweit bekannteste chinesische Bier mit deutschen Wurzeln wird hier in jedem Restaurant, frisch vom Fass, genossen.

Qingdao ist alles: moderne Millionenmetropole, charmante Kleinstadt und Ferienort. Sonntags treffen wir uns - Praktikanten, Freunde, Kollegen, ein bunter Mix aus Chinesen und Ausländern - regelmäßig zum Beach Volleyball am größten Sandstrand Qingdaos, Shi Lao Ren. Jeder von uns genießt diesen Tag Kurzurlaub in der sonst recht stressigen Arbeitswoche.

Auch sonst kann man hier einiges unternehmen: Ausflüge in das nahegelegene Berggebiet Laoshan zum Wandern und Klettern, Sightseeing (die deutschen Gebäude der Altstadt sind besonders sehenswert) oder Shopping im Jimolu, der größte „Fakemarket“ , den Qingdao zu bieten hat. Wer hier nicht verhandelt, zahlt mindestens den dreifachen Preis! Das Nachtleben lässt sich wohl ganz treffend mit „klein, aber fein“ zusammenfassen. Es gibt eine ganz gute Auswahl an Bars und Clubs, wo man die Nächte der Wochenenden verbringen kann. Man lernt ganz schnell nette Leute kennen, da jeder sehr offen ist. Nicht selten passiert es auch, dass man mit einer großen Gruppe auch bis zu später Stunde im Lieblings- Street-BBQ Restaurant hängenbleibt.

Manch einer mag sich fragen, was ist denn eigentlich so anders in China? Was sind denn die größten Unterschiede?

Die chinesische Kultur ist ganz anders. Werte unterscheiden sich, Denkweisen, Verhaltensmuster, Kommunikation, Sprache, Essen, Beziehungen, ... Es ist wahrscheinlich einfacher die Gemeinsamkeiten aufzuzählen, als die Unterschiede. Unterschiede in der Kultur spiegeln sich im gesamten Leben wider. Offensichtlich ist der Unterschied in der Sprache, klar. Doch spannender zu betrachten sind vielmehr die kleinen Dinge des Alltags.

Essen: Ich bin wirklich nicht zimperlich, was das Kosten fremder Gerichte angeht, und ich liebe das Qingdaoer BBQ. Fleisch, Fisch und Gemüse wird auf kleine Spieße gesteckt und auf dem Grill, lecker gewürzt, knusprig gebraten. Was ich nicht mag sind Schweinefett- oder Knorpelspieße, halbe Hühnerköpfe und Hühnerkrallen. Aber man muss ja auch nicht alles mögen!

Straßenverkehr: Manchmal vermisse ich tatsächlich die deutsche Ordnung. Wenn man im Bus feststeckt, weil einfach nichts mehr vor und zurück geht, da die nächste Kreuzung von sich gegenseitig behindernden Autos blockiert wird, kostet mich das schon immer Nerven. Da sind Verkehrregeln schon etwas Schönes!

Bus fahren: Eine alltägliche Herausforderung. Da es in Qingdao (noch) keine U-Bahn gibt, ist hier ein jeder auf die Busse angewiesen. Busse fahren nahezu überall hin, das Netz ist wirklich gut ausgebaut. Die Fahrt an sich ist allerdings oft nur schwer erträglich. Man mag es kaum glauben, wie viele Chinesen in einen normalen Linienbus passen... Ebenso wenig sollte man annehmen, dass Busfahrer aufgrund von „Überladung“ vorsichtiger und langsamer fahren würden. Sicher nicht.
Mein schlimmstes Erlebnis war eine sechs(!)stündige Linien(!)busfahrt ohne Möglichkeit zum Aufstehen, Aussteigen oder Pause machen, bei sinnflutartigem Regen und Stau. Schrecklich.

Mode: Wenn man allein die Anzahl der Bekleidungsgeschäfte betrachtet, muss man denken, Mode spielt eine sehr wichtige Rolle im Leben der modernen Chinesin. Es gibt unendlich viele. Von kleinen Ständchen auf dem Nightmarket bis zu Filialen der berühmten Luxusmarken gibt es hier einfach alles. Interessant ist aber vor allem, wie die Frauen (und Männer) hier dieses Potenzial nutzen. Glitzerndes Abendtäschchen zur Jogginghose, knöchelhohe Seidenstrümpfe in offenen Sandalen zum Rüschchenkleid, Muster und Farben werden wild kombiniert, ob es passt oder nicht. Generell sind Perlen, Glitzersteinchen oder –Aufdruck, sowie Rüschen im Design für den chinesischen Geschmack obligatorisch. Aber hier und da findet man auch wirklich schöne Sachen, sodass Shopping, nicht nur wegen der billigen Preise, eine große Versuchung darstellt.

Baden am Strand: Wie man vielleicht schon gehört hat, sind Chinesinnen etwas sonnenscheu. Deswegen ist es auch am Strand üblich, lange Bekleidung zu tragen oder in schwarzen Feinstrumpfhosen durch den Sand zu schlendern. Es ist auch absolut nicht selbstverständlich, dass man Schwimmen kann. Die meisten Mädchen haben schwimmen nie gelernt. Nicht selten sieht man sogar Gruppen junger Männer, ausgerüstet mit gelben Schwimmflügeln, zum Schwimmkurs im Gänsemarsch ins Meer waten.

Dies sind nur einige kuriose Bilder, die ich in meinem Leben in China mehr oder weniger verwundert wahrnehme. Die chinesische Kultur kann man damit natürlich nicht beschreiben.
Ganz persönlich wirken sich die Unterschiede zwischen China und Zuhause auf mich im alltäglichen Leben aus, wobei vieles mit finanziellen Aspekten verbunden ist. Ich kann jederzeit ein Taxi nehmen, wenn ich zu spät für den Bus bin; ich brauche nicht oft zu kochen, da Restaurantbesuche gut und günstig sind, kann regelmäßig zur Maniküre gehen usw.

Die Chinesen sind sehr gastfreundlich, auch zu uns Ausländern: viele wollen Fotos machen, man wird auf das ein oder andere Freundschafts-Bier an den Nachbartisch eingeladen, die Leute freuen sich wenn sie etwas von einem erfahren und sind umso interessierter, wenn man tatsächlich ihre Sprache spricht.

Die Menschen sind es auch, die meinen Aufenthalt in diesem Land besonders bereichert haben. Freunde, die Eltern von Freunden, Restaurantbesitzer, Kungfu- und Chinesischlehrer, Firmenmanager, Taxifahrer und sogar Polizisten, nette Leute findet man hier einfach überall. Mit ihnen erlebt man die lustigsten Augenblicke, man hat die ernstesten Gespräche und die tiefsten Eindrücke in das echte China.

China ist ein sehr vielseitiges Land, deswegen versuche ich soviel wie es mir möglich ist zu reisen. Ich denke man muss unbedingt die „Standards“ wie Peking, Xi’an und Shanghai sehen. Hier gilt es, sich ein paar mehr Tage zu gönnen, um auch Orte, die über die normalen Touristenattraktionen hinausgehen, zu besuchen.

Ein Geheimtipp, und eine völlig andere Seite Chinas ist die Region Xishuangbanna im Süden der Provinz Yunnan. Entlang des Mekongs, nahe an der Grenze zu Laos und Vietnam, gibt es zahlreiche Dörfchen mit südostasiatischem Flair. Man kann Dschungeltouren unternehmen, den Fluss entlang Fahrradfahren und köstliche Südfrüchte genießen.

Meine besten Erlebnisse in China waren Überraschungen. Wenn man keine hohen Erwartungen hat, sondern einfach ganz frei Dinge auf sich zukommen lässt, kann man hier unglaublich Schönes, Spannendes und Tolles erleben. Der Blick von der Pagode über den Westsee in Hangzhou bei Nacht war atemberaubend. Ein Tag auf dem Fahrrad durch die Hutongs von Beijing war einer meiner besten Tage in China.

Nächste Woche mache ich mich zusammen mit meinem Freund und einem englischen Mitpraktikanten wieder auf die Reise. Diesmal geht es über Shanghai nach Hunan, in die Region Zhangjiajie (bekannt aus dem Film „Avatar“ als „Pandora“), dann auf dem Yangze vorbei an dem Drei-Schluchten-Staudamm zu einer der größten Städte der Welt: Chongqing (über 30 Mio. Einwohner!!). Dann geht es weiter nach Chengdu, eine Stadt in Sichuan, berühmt für Pandabären und höllisch scharfes Essen. Ich freue mich schon!

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1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hei Sabine,

Kleiner Geheim-Tipp: Ich mochte Chengdu nicht besonders, rundherum gibt es aber fantastische Dörfchen. Besonders empfehlen kann ich Dir Yang's Dreamguesthouse (http://dreamguesthouse.com/) Ich war dort letzten Sommer der erste Gast. Der Besuche bei seiner wirklich wirklich abgelegen Familie war wohl mein bestes Erlebnis in China. Helfen kann Dir u.a. von Zhen Zhen in Sims Cozy in Chengdu.

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