Montag, 22. August 2011

Auslandsaufenthalt in China - Teil 4: Sophie M. Giessner

Mein Weg nach China
(Gastbeitrag: Sophie M. Giessner)


Hallo liebe Studenten, hallo liebe Leser!

Foto © Sophie M. Giessner
Während meines zweiten Semesters verachte ich ein zweimonatiges Praktikum im Marketing- und Salesbereich eines internationalen Krankenhauses in China. Wie es dazu kam, was sich mir für Steine in den Weg legten und was ich für Erfahrungen gemacht habe, erfährt ihr in einem kleinen Bericht von mir, Sophie M. Giessner.

Vorbereitung:

Ich war ziemlich knapp dran mit der Organisation eines Praktikums und wusste auch nicht wirklich, in welche Richtung es gehen sollte.
Da kam mit die Idee von  der Praktikumsbeauftragen meiner Uni sehr gelegen, mein Praktikum doch im Ausland zu absolvieren und die zündende Idee hatte sie auch noch: Frank Lenhardt, Direktor einer Praktikumsvermittlungsagentur für China. Ich bekam seine E-Mail-Adresse und setzte mich noch am gleichen Tag hoffnungsvoll mit ihm in Verbindung. Er schrieb mir auch sogleich eine sehr lange und ausführliche Nachricht zurück, in der er mir alle Fragen sehr genau beantwortete. Ich war begeistert!

Ich interessierte mich sehr für die Kultur, zugleich sah ich bereits den Chinaaufenthalt auf meinem Lebenslauf. Nur eine nicht unwesentliche Tatsache trübte meine Gedanken an China: der Preis.

Man hatte bei „Internchina“ die Möglichkeiten sich aus verschiedenen Optionen seinen Aufenthalt individuell zusammen zu buchen und meine bevorzugtesten Optionen waren zu gleich die Teuersten.  Für die Hauptsaison in einem Apartment, täglichem Sprachkurs plus die Standardleistung von „Internchina“ wie Praktikumsvermittlung, Abholung vom Flughafen etc. kam ich auf die stolze Summe von knapp dreieinhalbtausend Euro, zuzüglich der Flug. Da ich mir das Praktikum weitestgehend selbst finanzieren musste, sah ich die Idee schon in weiter Ferne.

Ich besprach mit Frank meine Befürchtung und fragte ihn, ob er mir im Preis entgegenkommen könne, sollte ich andere Studenten anwerben, mit mir zusammen das Praktikum zu absolvieren. Er war einverstanden und innerhalb kürzester Zeit überschlugen sich die Dinge. Ich erzählte einigen Mitstudenten von meinen Plänen und ich hatte Glück, bei zwei Männern aus meinem Kurs war ein Auslandspraktikum in China genau das Richtige.

Wenige Tage später hielt Frank eine sehr gelungene Präsentation in der bbw, um neue Studenten für China zu akquirieren. Nach der Präsentation gingen wir zu dritt zu ihm und klärten in einem ausgiebigen Gespräch alle Einzelheiten. Eine ungefähre Summe wurde genannt, die meine Hoffnung maßlos überstieg und Details und das weitere Vorgehen wurden besprochen.

In den nächsten Tagen wurden uns einige Praktikumsmöglichkeiten vorgeschlagen und wir entschieden uns für ein Praktikum in der Marketing- und Sales-Abteilung in einer privaten Klinik in der chinesischen acht Millionen-Metropole Qingdao. Die Frage war noch offen, ob uns das Krankenhaus auch alle drei nehmen und ob wir bezahlt würden.

Mit der Bezahlung ist es in China etwas anders. Nach chinesischen Maßstäben müssen Praktikanten eigentlich selbst Geld zahlen, um ein Praktikum in einem Unternehmen absolvieren zu können. Man solle ihm ja was beibringen, dafür müsse er ja dann auch zahlen. Das ist bei chinesischen Studenten gängiges Verfahren, bei Europäern ist das etwas anders. Da akzeptiert man es auch, ihnen etwas beizubringen, ohne eine Bezahlung zu verlangen, nach einigen Verhandlungen haben wir drei es sogar geschafft, 100 Euro im Monat zu bekommen, was eine Menge Geld in China ist (ein normaler Angestellter bekommt durchschnittlich ca. 150 Euro im Monat).

Nach einem Telefoninterview bekamen wir drei auch die Zusage für das Praktikum (naja, ehrlich gesagt wurden die beiden Jungs interviewt, ich bekam aufgrund meiner blonden Haarfarbe einen Bonus und wurde auch ohne Bewerbungsgespräch genommen).

Am 1. Juli 2011 würde es losgehen. Uns blieb nur noch knapp ein Monat Zeit, ein Visum zu beantragen und die Flüge zu buchen. Es ging zum Glück alles glatt über die Bühne. Der Flug war lang, aber angenehm. Was nicht zuletzt an der Serviceorientiertheit der China Air lag.

Ich musste in Shanghai umsteigen und verbrachte die nächsten sechs Wartestunden mich mit dem chinesischen Internet bekannt zu machen, die wenigsten Seiten funktionierten.

Mein erster Eindruck:

Als ich in Qingdao ankam, goss es aus Kübeln - im Ernst, ich dachte die Welt geht unter. Niemals zuvor habe ich solche Regenmassen miterlebt. Ich wurde pünktlich vom Flughafen abgeholt und es ging mit dem Bus weiter in die Innenstadt, wo ich wohnen sollte. Im Bus konnte ich mich gleich mit den Gewohnheiten der Chinesen vertraut machen und war, sagen wir mal, überrascht.

Ich will nicht sagen, dass ich blauäugig nach China gefahren bin, im Gegenteil, ich habe mich über alle möglichen Quellen über die Gewohn- und Gepflogenheiten der Chinesen informiert und kann alle Go- und NoGoes auswendig. Aber was man live vor Ort erfährt, kann kein „Umgang mit chinesischen Geschäftsleuten“ erklären.

Es wurde geröchelt, gerotzt gedrängelt und geschubst. Irgendwie musste ich auch lachen, so absurd kam es mir zu Beginn vor. China ist wirklich eine komplett andere Kultur, als unsere westliche. Mehrmals wurde ich beinahe von vorbeirasenden Autos umgefahren, denn Rücksicht wurde nicht genommen.

Eins lernte ich: In einer solchen Millionenstadt ist sich jeder selbst am Nächsten. Allerdings alles wurde mit einer solchen Freundlichkeit gemacht, dass man (beinahe!) wohlwollend über die Missetaten hinwegsehen konnte. Jeder lächelte und strahlte, vor allem uns Europäern wurde besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Blonde Haare, blaue Augen?! Wow! Du wirst geliebt! Da wird dann wohlwollend über die westlich große Nase hinweggeschaut.

Trotz dessen sich China durch die Industrialisierung sehr westlich orientiert hat und die Chinesen mittlerweile auch in 132 Länder unter Kompromiss Urlaub machen dürfen, sind Europäer eine kleine, beinahe eine große Sensation. Du wirst angestarrt, fotografiert und sogar angefasst. Abends im Club gibt’s Getränke umsonst und im Restaurant wirst Du bevorzugt behandelt.

Einerseits genieße ich natürlich eine solche Aufmerksamkeit, anderseits steh ich dem Ganzen etwas skeptisch gegenüber. Meines Erachtens verkaufen sich die Chinesen mit solch unterwürfigen Gesten unter Wert und man merkt durch ein solches Verhalten, dass sich das einst so arme Schwellenland trotz einer Wachstumsrate von knapp 9,5% (vgl. Deutschland 3,6%) noch in der Entwicklung befindet.

Das Praktikum:

Jeden Morgen hieß es um sechs aufstehen, um unseren Chinesisch Sprachkurs anzutreten, danach ging es dann weiter in die Klinik, um des nachmittags und abends das Marketing auf Vordermann zu bringen. Ein Uniprofessor war vor meinem Chinaaufenthalt so nett, mir eine sehr hilfreiche Publikation zu empfehlen: „Vom Umgang mit chinesischen Geschäftsleuten“ vom DIHK.

Auf 124 Seiten bekommt man einen ungefähren Eindruck auf was die Chinesen im Geschäftsleben Wert legen und was sie als „Gesichtsverlust“ auffassen (Anm. „Konflikte, Probleme und Unangenehmes werden möglichst nicht angesprochen, auch beschwert sich der Chinese nicht, wenn ihm etwas missfällt. Wer meckert riskiert sein Gesicht zu verlieren […]“ 1)

Auch Greg und Kobe, mit denen ich zusammen in China war, haben sich belesen und wir legten die chinesische Knigge-Regeln zusammen und fühlten uns einigermaßen vorbereitet. Wir einigten uns darauf erst einmal abzuwarten, wie die Chinesen uns gegenübertreten würden und uns anzupassen, ohne jedoch unsere europäischen Wurzeln zu vergessen, denn immerhin haben sie ja Europäer in ihrem Unternehmen eingestellt, um sich von unserem Arbeitsstil inspirieren zu lassen.

Der Sittenunterschied war jedoch nicht so schlimm wie erwartet, was vermutlich auch an dem internationalen Standard unserer Klinik lag. Unser Chef war sehr offen und zudem auch sehr westlich orientiert. Er erzählte uns, dass er viele Jahre in Texas lebte und zudem auch nur ausländische Patienten in seiner Klinik haben möchte, Chinesen hätten nicht das nötige Kleingeld. Nur beim Arbeitsstil machten sich seine chinesischen Wurzeln durchaus bemerkbar.

Nach einer kurzen Einführung der Klinik wurde uns gesagt, was wir grob zu tun hätten. Wir sollten Kunden akquirieren - neue gewinnen, alte erneut anwerben. Zudem sollten wir andere Unternehmen besuchen, unsere Klinik vorstellen und Geschenke vorbeibringen (richtig gehört: Geschenke vorbeibringen).  Soviel zu unseren Aufgaben! Mit diesen vagen Informationen versuchten wir uns erste  Informationen von der Homepage und irgendwelchen Broschüren zu holen, sodass wir überhaupt einen Anhaltspunkt hatten, was die Klinik machte und was wir den Kunden erzählen sollten.

Da wir im Vorfeld schon wussten, dass in China Aufgabenstellungen eher larifari gegeben wurden, haben wir uns die ersten Tage selbst Arbeit  gesucht und uns an die Korrektur der Homepage gemacht. Wir fragten unseren Chef, ob das in Ordnung wäre und er nickte es ab. Zudem schrieben wir Texte um, korrigierten Grammatik und verbesserten den Aufbau,  um zum Schluss unsere Vorschläge in einer Präsentation der Chefabteilung unserer Klinik vorzustellen (immer darauf bedacht, es wie Verbesserungsvorschläge aussehen zu lassen und nicht wie notwendige Korrekturen).

Darüber hinaus erstellten wir einen Telefonablauf mit möglichen Fragen und einer ungefähren Verlaufsvorgabe für ein Kundengespräch und verfassten einen Newsletter für Alt- und für Neukunden. Als wir nach zwanzig Stunden müheseligem Zusammensuchen von Informationen, Überarbeitung der Homepage, Verfassen von englischen Texten, vielen neuen Ideen und einem kleinem Businessplan in Sachen Marketing die Ergebnisse Dr. Lou präsentierten, kam raus: Die Homepage ist schon in Bearbeitung und beinahe fertig gestellt, Newsletter für Alt- und Neukunden existieren bereits und es gibt einen englischsprachigen Flyer, der alle Leistungen der Klinik aufgelistet hat.

Alle Arbeit umsonst und das obwohl wir jeden Abend Dr. Lou unsere am Tag erarbeiteten Ergebnisse präsentierten, er hat keinen Ton gesagt! Den Fehler wollten wir kein zweites Mal machen, wir beanspruchten Dr. Lou mehrere Stunden und zogen ihm alle Informationen aus der Nase, ohne Rücksicht auf seine Zeit o.s. Und endlich bekamen wir wichtige Informationen, mit denen wir uns auch bei einem persönlichen Vorstellen der Klinik etwas anfangen konnten, ohne uns maßlos durch Unwissenheit zu blamieren.

Das dachten wir jedenfalls in dem Augenblick ...

Eine Woche darauf sollten die ersten Kundentelefongespräche anfangen, in denen wir auch persönliche Treffen ausmachen sollten. Wir hielten uns an den von uns erstellten Ablaufplan und schafften es sogar, einige Termine klar zu machen. Teilweise verliefen die Telefonate gut, meist, wenn unser Gesprächspartner keine weiteren Fragen stellte, sondern uns einfach einen Termin gab. Anderseits gerieten wir ins Stocken, wenn wir die simpelsten Fragen nicht beantworten konnten oder wir gefragt wurden, weshalb wir einen Termin ausmachen wollten („Ähmm. Wie wollen unsere Klinik vorstellen und Geschenke vorbeibringen…?!“) Wir hatten einfach kein Hintergrundwissen, obwohl wir unser Bestes versuchten. Mit einem etwas mulmigen Gefühl im Bauch erwarteten wir die nächste Woche und die uns bevorstehenden Termine.

Am Montag wurden wir eingesammelt und fuhren in Begleitung einer Krankenschwester, die uns zu Beginn helfen sollte, zu  einem fünf-Sterne-Luxus-Superior-Hotel.

Mittlerweile gingen wir etwas emotionsloser an die Sache ran und widersprachen auch nicht, als diese durchaus passende Adresse einer „Ausländersammelstelle“ zum „Üben“ für uns Praktikanten genutzt wurde. Angefangen hat unser gelungener Auftritt,  dass wir keinen Ansprechpartner hatten. Es wurde ein Termin mit der Management-Abteilung gemacht, aber keiner wusste genau mit wem?!? Nach ewigem Hin und Her sind wir einer Dame aus der Personalabteilung zugewiesen worden, die sich mit „Sissi“ vorstellte. Wir haben kurz erklärt warum wir hier sind, danach hat unser Wissen aber auch aufgehört und die Krankenschwester übernahm das Wort in Chinesisch.

Ab und zu hat sich Sissi mit Fragen zur Klinik an uns gewandt, die wir aber alle nicht beantworten konnten. Sollte sich Sissi über den sehr amateurhaften Auftritt gewundert haben, hat sie es sich nicht anmerken lassen. Sie fragte freundlich interessiert nach Infomaterial, welches aber von der Klinik nicht wirklich existierte. Anstelle dessen überreichte ich ihr die Visitenkarte von unserem Chef (Anm. Visitenkarten überreicht man IMMER mit beiden Händen und nimmt diese auch so entgegen, studiert diese dann aufmerksam und legt sie voller Achtung auf den Tisch vor sich oder packt sie separat(!) in ein Visitenkartenetui - ansonsten wird es als respektlos gesehen und es droht Gesichtsverlust).

Nachdem wir in den kommenden Wochen die Informationsmaterialen fertiggestellt und den Prozess der Kundenakquise nach chinesischen Maßstäben optimiert haben, konnten wir während unseres Aufenthalts die Kundendatei an Klinikzuweisern nahezu verdreifachen. Da wir neben dem Praktikum auch fünf-Tage die Woche Mandarin-Unterricht hatten, haben wir nicht nur erste Einblicke in die chinesische Krankenhauswelt erhalten sondern auch unsere Sprachkenntnisse maßgeblich verbessern können.

Fazit:

Guanxi und Renqing = „Im chinesischen Kulturraum ist es sehr wichtig interpersonale Kontakte zu pflegen. Ohne ein funktionierendes Beziehungsnetz ist es vor allem für Fremde sehr schwierig in China Fuß zu fassen.“ 2)

Alles in Allem war es eine hervorragende Erfahrung, die ich jedem nur empfehlen kann. Man lernt Sachen aus anderen Blickwinkeln zu betrachten und man lernt auch, wie man Arbeiten eben nicht angeht und durchführt.

Auch wenn ich stark pauschalisiere, aber allein die Arbeitsweise- und Philosophie unserer Klinik und vieler Chinesen im Allgemein ist durchweg anders als in Deutschland. In China läuft alles langsamer, der Alltag ist hektisch, aber der Geschäftsprozess ist laaaangsammm. So langsam, dass man schon mal ungeduldig werden kann. Ich muss eingestehen, dass die Deutschen Kontrollfreaks sind, die im Akkord Arbeiten verrichten und minutiös ihre Zeit planen. Das ist allerdings das System das ich kenne und schätze und ich habe mich schwer getan, mich auf den chinesischen Arbeitsprozess einzustellen. So ist zwar die Arbeitszeit in China fast konkurrenzlos günstig, jedoch zwingen sowohl die mangelnde Eigeninitiative als auch die Produktivität jedes Einzelnen kulturell bedingt jeden Neuankömmling dazu, erst einmal umdenken zu müssen.

Im Fokus der chinesischen Lebens- und Arbeitskultur stehen eher zwischenmenschliche Beziehungen, die aus Sichtweise des westlichen Werteschemas eine Mischung aus Selbsterniedrigung und überschwenglichen Respekts vor einander darstellen. Schwer nachvollziehbar ist in unseren Kulturkreisen auch die hier noch tief verankerte Grundattitüde der „Überlegenheit des Wohlhabenderen“. Dies macht sich besonders bemerkbar, als dass man als Europäer wie eingangs erwähnt nicht nur bewundert wird, sondern auch mit besonderem Respekt und Hingabe behandelt wird – sei es durch schnellere Bedienung im Restaurant oder durch entsprechende Verhaltensmuster im öffentlichen Umgang miteinander.

Abschließend muss ich sagen, dass allein der vielzitierte „Clash of Cultures“ dieses Praktikum zu einer Lebenserfahrung gemacht hat, die sich zwar auch im Lebenslauf mehr als gut unterbringen lässt, aber vor allem als persönliche Erfahrung sehr wertvoll für mich war. Für jeden, der noch mit sich hadert, ob ein Auslandsaufenthalt – sei es als Praktikum oder vielleicht sogar als Auslandssemester – sinnvoll ist, kann ich solch eine Erfahrung uneingeschränkt empfehlen.

Natürlich helfe ich jedem gern, der ähnliches vorhat, mit Informationen oder Tipps, um den Einstieg in solch ein Praktikum so unkompliziert wie möglich zu gestalten.

Eure Sophie M. Giessner

Links zum Thema:
Rubrik Auslandsaufenthalte auf Studentenpilot.de

1) Dr. Sylvia Lott „Vom Umgang mit chinesischen Geschäftsleuten“ vom DIHK vgl. S. 24-25
2) Markus Eidam, freier Trainer und Coach in den Bereichen „interkulturelle Kommunikation" und „Organisationsentwicklung"



Dienstag, 16. August 2011

Auslandsaufenthalt in China - Teil 3: Sebastian Stagl

(Gastbeitrag: Sebastian Stagl)
Foto © Sebastian Stagl
Nun bin ich schon seit fünf Monaten hier. Im Land der Mitte, wie die wörtliche Übersetzung beschreibt. Mittendrin in dieser anderen, fremden Kultur. Mittendrin in den Wirren dieser anderen, zunächst unverständlich erscheinenden Sprache. Mittendrin in einem ganz anderen Leben.

Ich bin übrigens Sebastian Stagl. In Wien geboren und in Österreich aufgewachsen. Im Zuge meines Studiums habe ich mich nun mit meinen 22 Jahren (23, wenn man chinesisch zählt…) auf den Weg rund um den Globus gemacht um hier in China ein Praktikum zu absolvieren.

Als ich am 17. Februar 2011 die monglisch-chinesische Grenze im Zug überquert habe, habe ich gerade noch die letzten Feuerwerke des ausklingenden Frühlingsfest in der Ferne sehen können. Als mich die Sonnenstrahlen in der Früh des nächsten Tages wieder geweckt haben, war ich dann plötzlich wirklich da. In dem Land, in dem ich die nächsten sieben Monate verbringen sollte. Hätte ich nicht gewusst, wo ich bin, hätte ich es an den geschwungenen Dächern, dem vielen Rot und den überall im Wind dahintänzelnden Laternen erraten können. Oder kurze Zeit später an der Großen Mauer, die sich ein paar wenige Kilometer vor meinem ersten Ziel, Peking, plötzlich gezeigt hat.

Nach zehn Tagen in Peking machte ich mich schließlich auf den Weg um „nach Hause“ nach Qingdao zu fahren. So fragwürdig es auch scheint, irgendwohin „nach Hause“ zu fahren, obwohl man noch nie dort war, war es genau das, was ich gefühlt habe. Denn es hat jemand auf mich gewartet – meine chinesische Gastfamilie. Wie sich später herausstellen sollte, war diese eine von zwei Familien, bei denen ich während meines Aufenthaltes wohnen sollte. Bei zwei Familien zu wohnen eröffnete mir einen weiteren, ziemlich beeindruckenden Einblick in das China, das man zurzeit vorfinden kann. Vom lauten, lebhaften China, in dem man das Duschwasser auffängt um damit die Toilette zu spülen, bin ich nach zweieinhalb Monaten in das verschwenderische, protzig angeberische China mit vierstöckigen Villen am Strand gezogen. Nicht ich sondern der Zufall war es, der dies so wollte. Dank diesem hab ich nun ein für mich sehr vollständiges Bild bekommen, dass Aufschluss über viele Dinge gibt und so manches erklärt, das man durch bloßes Zeitunglesen nicht vesteht.

Doch beide Leben haben etwas gemeinsam. Und zwar, dass sie zu einem großen Teil auf der Straße stattfinden. Seien es die zahlreichen kleinen Obst- und Gemüsestände, ausgelagerten Restaurants und euforischen Händler oder die vertieften Taiji-Boxer, sportelnden Pensionisten und der singende Chor. Die Straßen Chinas sind nie leer. Diese Aktivitäten finden dann entweder ganz früh morgens, wenn ein europäischer Durchschnittsstudent von einer durchfeierten Nacht heim kommt, oder abends, wenn die Nacht schon eingesetzt hat, statt. Denn eines versuchen die Chinesen zu meiden – die Sonne. Weiß sollte man sein um zu zeigen, dass man es nicht nötig hat, einer Tätigkeit im Freien nachgehen zu müssen. Deshalb habe ich auch kaum einen Sommertag verbracht ohne dem Schirm eines sonnenscheuen Mädchens ausweichen zu müssen.

Neben dem Sonnenschirm gibt es übrigens noch einige weitere Kuriositäten, denen man im täglichen Umgang mit Chinesen nicht entkommt. Da wäre zum einen der obligatorische Nagelzwicker am Hosenbund der Männer, den man(n) dann am besten immer und überall – sei es im Bus, in der Schlange zum Ticketschalter oder im Büro – auspackt und seine Umwelt „beglückt“. Zum anderen wird man keinen Tag verbringen ohne einen Chinesen in der typischen Hockstellung zu erblicken. Die Sitzposition scheint von Geburt an fleißig trainiert zu werden um so manche Alltagssituationen, wie zum Beispiel den Toilettenbesuch (im Prinzip ein Loch im Boden) oder das Warten auf den nächsten Bus (natürlich in Hockstellung), so komfortabel wie möglich zu gestalten.

Ein äußerst interessanter Moment meiner „chinese experience“ war als ich mit der chinesischen Medizin in Berührung gekommen bin. Seit Jahrtausenden praktiziert, findet die traditionelle Medizin noch immer regen Anklang in der Bevölkerung. Um dies zu testen, haben sich ein paar Ausländer und ich auf den Weg zur Feuermassage gemacht. Kurze Zeit nach Ankunft stand mein Rücken auch schon in Flammen um die bösen Energien und Schadstoffe aus meinem Körper zu vertreiben. Das Ganze wurde anschließend mit dem sehr, sehr leckeren und typisch chinesischen Hotpot – dem Feuer von innen – abgerundet.

Sehr lustige und aufschlussreiche Momente hatte ich auch im Bus, denn die tägliche, einstündige Fahrt in die Arbeit allein liefert das nötige Material um eine ganze Verhaltensstudie durchzuführen. Anfangs musste ich damit kämpfen, keine Komplexe zu bekommen, denn selbst wenn ich der erste im Bus war, war der Platz neben mir immer (und damit meine ich immer) der letzte, der besetzt wurde. Warum? Weil Ausländer stinken. Das war die Antwort, die mir meine chinesischen Freunde ganz nüchtern als Erklärung gaben. Ausländer stinken also. Und Ausländer sind außerdem eklig, weil sie ein benutztes Taschentuch wieder in die Hosentasche stecken. Der Körper signalisiert doch eindeutig, dass er das Nasenmonster ausscheiden möchte und nicht wieder zurück haben möchte. Und genau aus diesem Grund rotzen und spuken die Chinesen immer und überall. Das ist für mich hie und da schon mal zu einem Art Tanz ausgeartet, als ich eigentlich nur vorhatte, gemütlich spazieren zu gehen.

Zwischen all diesen erheiternden Alltagssituationen, gab es auch noch das Praktikum, das mir den nötigen Rahmen für mein Vorhaben, die chinesische Kultur kennen zu lernen und meine Sprachkenntnise zu vertiefen, bot. Dass ich dabei nochmal ein ganz anderes China kennen lernen durfte, war mir nicht von Anfang an klar, aber verstanden habe ich es ziemlich bald. Als Praktikant im Human Resource Department eines chinesischen Staatsbetriebes bestand mein Job darin, dem Unternehmen bei der Internationalisierung zu helfen und ausländische Mitarbeiter und andere Praktikanten einzustellen.

Die täglich wechselnden Teppiche in den Aufzügen lieferten unter anderem das nötige Umfeld um die Möglichkeiten kennen zu lernen, die ein Staatsbetrieb in diesem Land hat, und einen Einblick in die Arbeitswelt zu bekommen. Nicht nur durch die ganz typischen Business Dinner, bei denen man unbeschreiblich viele Regeln zu beachten hat, konnte ich enorm viel lernen, sondern durch die alltäglichen Situationen in der Zusammenarbeit mit Chinesen. Da die Arbeit in China einen richtig großen Stellenwert hat, wird der Job allem anderen voran gestellt. Aus diesem Grund sind meine Kollegen immer schon im Büro wenn ich um 8 Uhr morgens komme und bleiben hier wenn ich um 17.30 Uhr gehe. Und in der anderthalbstündigen Mittagspause wird nach einem im Rekordtempo eingenommen Mittagessen geschlafen um diesem ganzen Gesellschaftsdruck auch standzuhalten. Einfach den Kopf auf den Schreibtisch und die Welt um sich herum ausschalten. Bis heute habe ich es nicht auch nur einen Tag geschafft, ihnen das nachzumachen sondern nutze diese Zeit lieber um draußen spazieren zu gehen. Denn viel Sonne bekommt man im 15-Mann-Büro nicht. Hier bevorzugt man geschlossene Jalousien und künstliches Licht.

Einer der interessantesten Momente in dem Firmenwolkenkratzer war definitiv die offizielle Feier zum 90. Geburtstag der Kommunistischen Partei Chinas. Ist man Chinese und Mitarbeiter dieses Staatsbetriebes, ist man mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit auch Mitglied der Partei und somit natürlich bei der Geburtstagsparty mit dabei. Obwohl ich kein Parteimitglied bin, bekam ich die Ehre Augenzeuge dieses Festes zu werden. Abgesehen davon, dass ich durch die bloße Anteilnahme sehr viel über den (chinesischen) Kommunismus lernen konnte, bekam ich außerdem enorm viel Aufschluss darüber, warum Dinge in China so laufen, wie sie laufen.

Und weil in China die Dinge so anders laufen, gibt es trotz der Tatsche, dass ich ein relativ anspruchsloser, offener Mensch bin, ein paar Kleinigkeiten, die ich aus der Heimat vermisse. Allem voran das Frühstück. Die Nudelsuppe, Meeresfrüchte und der salzige Fisch, den ich bei meiner Familie morgens bekomme, hängt mir nach der ganzen Zeit schon zum Hals heraus. Die Sehnsucht nach Butter, Marmelade, Honig & Co. ist riesengroß.

Und manchmal habe ich neben der morgendlichen Nudelsuppe auch die chinesische Mentalität richtig satt. Nach ein paar Monaten, habe ich erfahren, dass es nicht nur mir so geht. Unter Ausländern in China wird dieser Moment auch oft als „China Blues“ bezeichnet. Wenn man zwei westliche Kulturen gegenüber stellt, kann man trotz vieler Unterschiede Gemeinsamkeiten erkennen. Die chinesische Kultur ist aber mit der unseren kaum zu vergleichen. Daher kann es schon mal dazu kommen, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche als mich kurz von hier wegzubeamen. Zum Beispiel, wenn die Chinesen nicht aufhören mich anzustarren, mit dem Finger auf mich zu zeigen und laut „lao wai“ (dt: Ausländer) zu rufen. Aber irgendwie gehört dies auch schon dazu…

Was ich am Anfang über China dachte, denke ich auch jetzt noch. Nur sehe ich alles aus einer anderen Perspektive. War ich anfangs mittendrin in einer andern, fremden Kultur, weiß ich nun auch von außen betrachtet, dass China wirklich das Land der Mitte ist (so wie auf den Landkarten hier). China befindet sich in der Mitte zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Tradition und Moderne und zwischen Starre und Veränderung. Aber vor allem befindet es sich nun auch in der Mitte meines Herzens.

Spätestens in Xi’an, als ich im Sonnentuntergang mit dem Fahrrad über die Stadtmauer gefahren bin, hat es diesen Platz eingenommen.

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Dienstag, 9. August 2011

Auslandsaufenthalt in China - Teil 2: Sabine May

(Gastbeitrag: Sabine May)
Foto © Sabine May
Mein Name ist Sabine May, ich bin 25 Jahre alt und studiere an der LMU in München die Fächer Sinologie, Betriebswirtschaftslehre und Interkulturelle Kommunikation. Im Rahmen meines Sinologie-Studiums lerne ich natürlich auch Chinesisch. Da Chinesisch zu lernen nicht gerade ein Zuckerschlecken ist, muss man diese Sprache wirklich vor Ort hören, sprechen und verstehen lernen, alles andere ist aussichtslos. So entschloss ich mich im Frühjahr 2010 dafür, ein halbes Jahr Praxis-Erfahrung zu sammeln und packte meine Sachen, um ein Praktikum in Qingdao zu machen. 

Als ich meinen Aufenthalt plante, fand in meiner Universität ein Vortrag statt über das Thema „Praktika in China“. Der referierende Experte gründete 2006 seine eigene Agentur, welche Praktika, Sprachunterricht und Unterkunft in Qingdao und Zhuhai an Studierende aus Europa, Nordamerika und Australien vermittelt.

Eigenhändig Praktikumsstellen in China zu finden erweist sich oft als schwierig, kompliziert und unmöglich, da das Konzept „Praktikum“ den meisten chinesischen Managern unbekannt ist. Zudem bietet die Agentur auch Unterstützung, wenn es zu Problemen kommt. Die langwierigen Formalitäten zum Erhalt eines entsprechenden Visa, die Unsicherheit allein in eine völlig fremde Kultur zu kommen, usw. sind Schwierigkeiten, die diesem Vorhaben oft im Wege stehen.

Besonders gereizt hat mich auch der Aufenthalt in einer chinesischen Gastfamilie. Ein Leben „auf chinesisch“, das hat mich letztendlich davon überzeugt, dass Qingdao die richtige Wahl für mich ist. Und es war tatsächlich so!

Bei einer Gastfamilie zu wohnen ist zum einen eine große Herausforderung, zum anderen auch eine riesige Bereicherung. Natürlich war es anfangs für mich nicht leicht, in einem zunächst fremden Haushalt „mit zu leben“, Rücksicht zu nehmen, und sich gleichzeitig ständig Mühe zu geben, immer offen, freundlich, probierfreudig und unterhaltsam zu sein. Gerade weil meine Familie auch ausschließlich Chinesisch sprach, war die erste Phase durchaus anstrengend für mich. Dennoch habe ich meine jungen Gasteltern, meine einjährige Gastschwester und meine Großeltern, die im selben Wohnblock einige Stockwerke höher lebten, innerhalb kürzester Zeit sehr lieb gewonnen, und das Zusammenleben funktionierte wunderbar.

Nach unvergesslichen sieben Monaten, hat es mich prompt wieder hierher gezogen: Gleich nach dem Wintersemester in München habe ich zum zweiten Mal meine Koffer gepackt und bin für weitere 5 Monate zurück nach Qingdao gekommen. Diesmal wohne ich jedoch mit meinem Freund, nicht mit einer Familie.

Man mag sich vielleicht fragen: Warum wieder Qingdao? Ist das nicht langweilig? Willst du nicht auch mal was Neues sehen? Ja, klar, ich bin letztes Jahr viel in China gereist. Ich habe viele Orte gesehen und war begeistert. Aber ich liebe Qingdao!

Qingdao ist eine Küstenstadt. Das hat natürlich positive Auswirkungen auf die Lebensqualität. Im Gegensatz zu anderen Millionenstädten wie Peking oder Shanghai ist das Klima hier angenehm mild, Smog und Luftverschmutzung halten sich in Grenzen, es gibt einige breite Sandstrände und die Atmosphäre ist entspannt. Nicht umsonst wurde Qingdao 2009 zu der „lebenswertesten Stadt Chinas“ gewählt.

Die Deutschen haben hier bereits vor über hundert Jahren ihre Spuren hinterlassen, als sie das Gebiet Qingdao (damals nur ein kleines Fischerdörfchen) als Kolonie beanspruchten (von 1898 bis 1914) und die erste Brauerei Chinas eröffneten (1903). Noch heute erzeugen die erhalten gebliebenen deutschen Gebäude in Qingdao einen interessanten und spannenden Kontrast mit der chinesischen Architektur, und das weltweit bekannteste chinesische Bier mit deutschen Wurzeln wird hier in jedem Restaurant, frisch vom Fass, genossen.

Qingdao ist alles: moderne Millionenmetropole, charmante Kleinstadt und Ferienort. Sonntags treffen wir uns - Praktikanten, Freunde, Kollegen, ein bunter Mix aus Chinesen und Ausländern - regelmäßig zum Beach Volleyball am größten Sandstrand Qingdaos, Shi Lao Ren. Jeder von uns genießt diesen Tag Kurzurlaub in der sonst recht stressigen Arbeitswoche.

Auch sonst kann man hier einiges unternehmen: Ausflüge in das nahegelegene Berggebiet Laoshan zum Wandern und Klettern, Sightseeing (die deutschen Gebäude der Altstadt sind besonders sehenswert) oder Shopping im Jimolu, der größte „Fakemarket“ , den Qingdao zu bieten hat. Wer hier nicht verhandelt, zahlt mindestens den dreifachen Preis! Das Nachtleben lässt sich wohl ganz treffend mit „klein, aber fein“ zusammenfassen. Es gibt eine ganz gute Auswahl an Bars und Clubs, wo man die Nächte der Wochenenden verbringen kann. Man lernt ganz schnell nette Leute kennen, da jeder sehr offen ist. Nicht selten passiert es auch, dass man mit einer großen Gruppe auch bis zu später Stunde im Lieblings- Street-BBQ Restaurant hängenbleibt.

Manch einer mag sich fragen, was ist denn eigentlich so anders in China? Was sind denn die größten Unterschiede?

Die chinesische Kultur ist ganz anders. Werte unterscheiden sich, Denkweisen, Verhaltensmuster, Kommunikation, Sprache, Essen, Beziehungen, ... Es ist wahrscheinlich einfacher die Gemeinsamkeiten aufzuzählen, als die Unterschiede. Unterschiede in der Kultur spiegeln sich im gesamten Leben wider. Offensichtlich ist der Unterschied in der Sprache, klar. Doch spannender zu betrachten sind vielmehr die kleinen Dinge des Alltags.

Essen: Ich bin wirklich nicht zimperlich, was das Kosten fremder Gerichte angeht, und ich liebe das Qingdaoer BBQ. Fleisch, Fisch und Gemüse wird auf kleine Spieße gesteckt und auf dem Grill, lecker gewürzt, knusprig gebraten. Was ich nicht mag sind Schweinefett- oder Knorpelspieße, halbe Hühnerköpfe und Hühnerkrallen. Aber man muss ja auch nicht alles mögen!

Straßenverkehr: Manchmal vermisse ich tatsächlich die deutsche Ordnung. Wenn man im Bus feststeckt, weil einfach nichts mehr vor und zurück geht, da die nächste Kreuzung von sich gegenseitig behindernden Autos blockiert wird, kostet mich das schon immer Nerven. Da sind Verkehrregeln schon etwas Schönes!

Bus fahren: Eine alltägliche Herausforderung. Da es in Qingdao (noch) keine U-Bahn gibt, ist hier ein jeder auf die Busse angewiesen. Busse fahren nahezu überall hin, das Netz ist wirklich gut ausgebaut. Die Fahrt an sich ist allerdings oft nur schwer erträglich. Man mag es kaum glauben, wie viele Chinesen in einen normalen Linienbus passen... Ebenso wenig sollte man annehmen, dass Busfahrer aufgrund von „Überladung“ vorsichtiger und langsamer fahren würden. Sicher nicht.
Mein schlimmstes Erlebnis war eine sechs(!)stündige Linien(!)busfahrt ohne Möglichkeit zum Aufstehen, Aussteigen oder Pause machen, bei sinnflutartigem Regen und Stau. Schrecklich.

Mode: Wenn man allein die Anzahl der Bekleidungsgeschäfte betrachtet, muss man denken, Mode spielt eine sehr wichtige Rolle im Leben der modernen Chinesin. Es gibt unendlich viele. Von kleinen Ständchen auf dem Nightmarket bis zu Filialen der berühmten Luxusmarken gibt es hier einfach alles. Interessant ist aber vor allem, wie die Frauen (und Männer) hier dieses Potenzial nutzen. Glitzerndes Abendtäschchen zur Jogginghose, knöchelhohe Seidenstrümpfe in offenen Sandalen zum Rüschchenkleid, Muster und Farben werden wild kombiniert, ob es passt oder nicht. Generell sind Perlen, Glitzersteinchen oder –Aufdruck, sowie Rüschen im Design für den chinesischen Geschmack obligatorisch. Aber hier und da findet man auch wirklich schöne Sachen, sodass Shopping, nicht nur wegen der billigen Preise, eine große Versuchung darstellt.

Baden am Strand: Wie man vielleicht schon gehört hat, sind Chinesinnen etwas sonnenscheu. Deswegen ist es auch am Strand üblich, lange Bekleidung zu tragen oder in schwarzen Feinstrumpfhosen durch den Sand zu schlendern. Es ist auch absolut nicht selbstverständlich, dass man Schwimmen kann. Die meisten Mädchen haben schwimmen nie gelernt. Nicht selten sieht man sogar Gruppen junger Männer, ausgerüstet mit gelben Schwimmflügeln, zum Schwimmkurs im Gänsemarsch ins Meer waten.

Dies sind nur einige kuriose Bilder, die ich in meinem Leben in China mehr oder weniger verwundert wahrnehme. Die chinesische Kultur kann man damit natürlich nicht beschreiben.
Ganz persönlich wirken sich die Unterschiede zwischen China und Zuhause auf mich im alltäglichen Leben aus, wobei vieles mit finanziellen Aspekten verbunden ist. Ich kann jederzeit ein Taxi nehmen, wenn ich zu spät für den Bus bin; ich brauche nicht oft zu kochen, da Restaurantbesuche gut und günstig sind, kann regelmäßig zur Maniküre gehen usw.

Die Chinesen sind sehr gastfreundlich, auch zu uns Ausländern: viele wollen Fotos machen, man wird auf das ein oder andere Freundschafts-Bier an den Nachbartisch eingeladen, die Leute freuen sich wenn sie etwas von einem erfahren und sind umso interessierter, wenn man tatsächlich ihre Sprache spricht.

Die Menschen sind es auch, die meinen Aufenthalt in diesem Land besonders bereichert haben. Freunde, die Eltern von Freunden, Restaurantbesitzer, Kungfu- und Chinesischlehrer, Firmenmanager, Taxifahrer und sogar Polizisten, nette Leute findet man hier einfach überall. Mit ihnen erlebt man die lustigsten Augenblicke, man hat die ernstesten Gespräche und die tiefsten Eindrücke in das echte China.

China ist ein sehr vielseitiges Land, deswegen versuche ich soviel wie es mir möglich ist zu reisen. Ich denke man muss unbedingt die „Standards“ wie Peking, Xi’an und Shanghai sehen. Hier gilt es, sich ein paar mehr Tage zu gönnen, um auch Orte, die über die normalen Touristenattraktionen hinausgehen, zu besuchen.

Ein Geheimtipp, und eine völlig andere Seite Chinas ist die Region Xishuangbanna im Süden der Provinz Yunnan. Entlang des Mekongs, nahe an der Grenze zu Laos und Vietnam, gibt es zahlreiche Dörfchen mit südostasiatischem Flair. Man kann Dschungeltouren unternehmen, den Fluss entlang Fahrradfahren und köstliche Südfrüchte genießen.

Meine besten Erlebnisse in China waren Überraschungen. Wenn man keine hohen Erwartungen hat, sondern einfach ganz frei Dinge auf sich zukommen lässt, kann man hier unglaublich Schönes, Spannendes und Tolles erleben. Der Blick von der Pagode über den Westsee in Hangzhou bei Nacht war atemberaubend. Ein Tag auf dem Fahrrad durch die Hutongs von Beijing war einer meiner besten Tage in China.

Nächste Woche mache ich mich zusammen mit meinem Freund und einem englischen Mitpraktikanten wieder auf die Reise. Diesmal geht es über Shanghai nach Hunan, in die Region Zhangjiajie (bekannt aus dem Film „Avatar“ als „Pandora“), dann auf dem Yangze vorbei an dem Drei-Schluchten-Staudamm zu einer der größten Städte der Welt: Chongqing (über 30 Mio. Einwohner!!). Dann geht es weiter nach Chengdu, eine Stadt in Sichuan, berühmt für Pandabären und höllisch scharfes Essen. Ich freue mich schon!

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Montag, 1. August 2011

Auslandsaufenthalt in China - Teil 1: Jan Bauer

(Gastbeitrag: Jan Bauer)
Foto © Jan Bauer
Mein Name ist Jan Bauer, ich bin 22 Jahre alte und studiere “Internationales Transport Management” im nunmehr 5. von 7 Semestern an der Jadehochschule im beschaulichen Elsfleth in Niedersachsen mit seinen ~9.000 Einwohnern. In unserem Bachelorstudiengang werden vor allem Inhalte der Logistik mit maritimen Fokus (Reedereibetriebslehre, Entwicklungen in der Schifffahrt usw.) gelehrt, aber es gibt auch Veranstaltungen für „normale“ Logistik, die Bereiche wie Supply Chain Management oder Produktionslogistik betreffen.

Obwohl die FH in Elsfleth sehr klein ist, habe ich mich vor allem aus 2 Gründen für ein Studium dort entschieden. Als erstes natürlich der Logistik Schwerpunkt, wobei mich die maritime Logistik nicht ganz so sehr interessiert. Mein Schwerpunkt liegt ganz klar im Supply Chain und Operations Management. Auch wenn ein großer Teil unserer Absolventen später im maritimen Bereich arbeitet, so zieht es doch auch viele in die Automobilbranche oder in die Logistikabteilungen von Unternehmen.

Der zweite Grund war und ist ein integriertes Auslandsjahr, was sich in ein Theorie- und ein Praxissemester unterteilt, welche beide in einem nicht-deutschsprachigen Land absolviert werden müssen. Ich habe mich schon in jungen Jahren vor allem für die Kultur, Geschichte und Menschen Japans interessiert. Im Laufe meines Werdegangs, der Ausrichtung zur Logistik und im Verlauf der Geschichte ist jedoch China immer weiter in meinen Fokus gerückt. China ist als „Exportweltmeister“ natürlich gerade für die Logistiker interessant, denn irgendwie müssen die ganzen Güter ja transportiert werden. Da sich auf lange Sicht benötigte Qualität und Umfang der Logistikdienstleistungen stark erhöhen und verändern wird, ist China ein sehr interessanter (Berufs-) Markt der Zukunft für mich.

Mein Theoriesemester habe ich in Hongkong, sozusagen als Asieneinstieg „light“, im Studiengang „Global Supply Chain Management“ absolviert. An sich mag ich große Städte sehr gerne und auch Hongkong hat mich in dieser Hinsicht nicht enttäuscht. Natürlich war die Universität sehr viel größer als meine kleine FH, aber damit hatte ich keine Probleme, denn ich hatte die Möglichkeit viele neue Leute kennen zu lernen. Neben den vielen „locals“ gab es auch etwas über 200 Austauschstudenten, so dass man unglaublich viel unternehmen konnte.

Ursprünglich hatte ich vor, auch mein Praxissemester in Hongkong zu absolvieren, was jedoch leider nicht geklappt hat. Letztendlich bin ich dann in Qingdao, China (da wo das Tsingtao Bier herkommt) bei DB Schenker gelandet.

Hier bin ich seit Anfang Juli 2011 im Project & Logistics Department im Einsatz, welches sich in Qingdao momentan hauptsächlich mit Logistik und Warehouse Management beschäftigt. Mein Aufgaben liegen bis jetzt im Kennenlernen der Abläufe, Erstellen von Reports und seit neuestem bin ich damit beauftragt, einen Arbeitsprozess in einem unserer Lagerhäuser zu optimieren, wobei mir meine im Studium erworbenen Excelkenntnisse dabei sehr zugute kommen. Bald nehmen wir ein neues Lagerhaus in Betrieb, dessen Start ich dann aktiv begleiten soll.

Allerdings muss man beim Thema Praktikum in China etwas vorsichtig sein bzw. seine Erwartungen anpassen, weil Praktika in China noch nicht sonderlich verbreitet sind. So kann es passieren, dass es, wenn man für eine chinesische Firma arbeitet, keine klaren Aufgaben und Zuständigkeiten gibt. Man muss sich stark selbst einbringen und sich Aufgaben holen. In den meisten Fällen werden westliche Praktikanten eingestellt, um deren lokale Märkte zu erschließen bzw. die Kunden dort zu betreuen. Es kann auch passieren, dass sich die chinesische Firma ein internationales Aussehen geben möchte und daher jemanden aus dem Westen bzw. mit kaukasischem Aussehen anstellt. Hier kann es dann sein, das man dann nur als Zierobjekt ohne Verantwortung / Aufgaben im Büro hockt. Bei Großkonzernen aus dem Westen ist dies aber normalerweise kein Problem bzw. nicht viel anders gelagert als in Deutschland.

Für die Dauer meines Praktikums lebe ich in einer Gastfamilie, die aus einem Ehepaar mittleren Alters und deren 5 Jahre altem Sohn besteht. Leider leben wir etwas abgeschieden vom Stadtzentrum, so dass ich jeden Tag ca. eine Stunde mit dem Bus zur Arbeit fahren muss. Dafür entschädigt mich aber das gute Essen, die unglaublich freundlichen Leute im Bus und die einmalige Erfahrung das Leben einer chinesischen Familie aus einer einzigartigen Perspektive kennen zu lernen. Mein Gastbruder ist quicklebendig, immer für einen Spaß zu haben und versucht mir immer etwas Chinesisch beizubringen.

Das Leben in Qingdao ist sehr entspannt und obwohl hier für deutsche Verhältnisse alles etwas chaotischer zugeht, so ist es doch ein sehr lebenswerter Ort. Die Stadt wurde zu einem der besten Plätze zum Leben in China gekrönt, was ich bis jetzt nur bestätigen kann. Es gibt zwar auch ein paar für China typische, aus europäischer Sicht eher „gewöhnungsbedürftige“ Sachen, wie z.B. Kinder mit offenen Hosen, die ihr Geschäft verrichten wo sie grade sind, oder dass die während des Essens ungewollten Dinge die auf den Tisch gespuckt werden, und dann zum Reinigen des Tisches auf den Boden gewischt werden. Aber wie sagt man so schön: „Andere Länder, andere Sitten“.

Im Vergleich zu Deutschland ist das Leben hier sehr günstig, vor allem was Essen und Kleinkram angeht. Im Bezug auf Markenkleidung oder Autos (zumindest die ausländischen Marken) sind die Preise mindestens gleichwertig, wenn nicht sogar etwas höher. Qingdao hat sich noch recht viel von seinem Erbe als deutsche und japanische Kolonie erhalten und zusätzlich geht es der Stadt wirtschaftlich sehr gut, was sich auch an ihrem Aussehen wiederspiegelt. Daher ist sie vielleicht auch nicht der beste Maßstab um China als Land zu messen. Dies sieht man zum Beispiel zu allererst an den Autos. Es sieht im Straßenverkehr doch recht europäisch aus: es werden vornehmlich moderne deutsche Autos der mittleren bis gehobenen Preisklasse gefahren, wobei sich Audi und vor allem VW hier ein starkes Standbein gebaut haben. Zwischen den Autos gibt es natürlich auch ein paar chinesische Modelle aber im Vergleich zu anderen Städten, ist der Anteil sehr gering.

Während meiner Zeit in Hongkong war ich nur einmal kurz in China um dort Urlaub zu machen. Hier hat man Unterschiede zwischen Europa und China wesentlich mehr gemerkt/gesehen: Es sieht teilweise (wohl auch aufgrund der vielen Betonbauten) irgendwie trist aus, etwas abgewirtschaftet und diesig von den ganzen Fabriken/Smog. Vielleicht waren meine Eindrücke auch etwas durch meinen Aufenthalt in Hongkong getrübt, denn dort ist es, abgesehen vom Smog, immer sehr sauber (so manche S-Bahn in deutschen Großstädten könnte sich was von der MTR in Hongkong abgucken). Und auch obwohl Hongkong seit 1997 mit Sonderstatus offiziell wieder zu China gehört, so sind die Unterschiede im Vergleich zu den meisten chinesischen Städten, durch die ich bis jetzt gekommen bin, eklatant. Da ist zum einen die Beschränkung des Informationsflusses was Internet und Medien angeht und zum anderen vor allem die Wirtschaftskraft welche sich unmittelbar auf das Aussehen der Stadt auswirkt. Natürlich hat China auch seine schnell wachsenden und modernen Großstädte wie Shanghai und schönen Ecken wie z.B. die Reisterassen um Guilin oder die Umgebung von Yangshuo. Ich hatte bis jetzt noch nicht allzuviel Zeit durch China zu reisen, aber bald werde ich einen Besuch in unserem China-Hauptquartier in Beijing mit einem Besuch der Stadt verbinden. Am Ende meines Praktikums im Januar 2012 habe ich noch ca. einen Monat, bevor ich zurückkehren muss, um das Land zu erkunden.

Natürlich vermisse ich manchmal ein paar Sachen, vor allem das deutsche Essen. Manchmal habe ich einfach Heißhunger auf ein Mettbrötchen oder (als Nordlicht) eine schöne Portion Grünkohl. Bis jetzt gehe ich aber davon aus, dass ich später wieder in China tätig sein werde. Ideal wäre natürlich eine Anstellung bei einer deutschen Firma, die mich dann nach China entsendet. Höchst wahrscheinlich werde ich noch einen Master an meinen Bachelor ranhängen, aber es bleibt abzuwarten wie sich alles entwickelt. Auf jeden Fall ist China ein riesen Land im Umbruch, welches viele Chancen aber auch ein paar Risiken birgt. Ich habe mich dazu entschieden an diesem Umbruch teilzuhaben und kann jedem nur empfehlen, sich zumindest für einen etwas längeren Zeitraum in diesem riesigen Land aufzuhalten und sich damit zu beschäftigen. Ich kann versprechen, es wird eine Erfahrung, die man nicht so schnell vergisst.

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